Interview der Gießener Allgemeinen Zeitung mit dem neuen Vorsitzenden der SPD Hungen

Ursula Sommerland von der Gießener Allgemeinen kat kürzlich ein Interview mit unserem neuen Vorsitzenden Nico Haas geführt. Das Interview wurde am 20.10.2023 veröffentlicht. Den Link zu dem Online-Artikel finden sie hier.

 

Generationswechsel

Wer in Deutschland das SPD-Parteibuch besitzt, hat im Schnitt den 60. Geburtstag bereits hinter sich. Der neue Vorsitzende der Sozialdemokraten in Hungen bildet die krasse Ausnahme. Als 20-Jähriger hat Nico Haas den Vorsitz des Ortsvereins über- nommen und gleich in den ersten Wochen eine »steile Bildungskurve« durchlaufen.

Nico Haas ist das jüngste unter den rund 100 Mitgliedern des SPD-Ortsvereins Hungen. Aber er steht an der Spitze. Am 15. September wurde der damals noch 20-Jährige zum neuen Vorsitzenden gewählt. »Selbst der Juso-Beauftragte ist älter als ich«, erzählt er gut gelaunt. Und dass er seit seiner Wahl »eine steile Bildungskurve« durchlaufen hat. In die ersten vier Wochen seiner Amtszeit als Vorsitzender fielen die Kontroverse ums Gewerbegebiet Hungen-Süd, der Wahlkampf und die Landtagswahl, die mit einer krachenden Niederlage für die Hessen-SPD endete. Haas macht dafür in erster Linie den »Gegenwind aus Berlin« verantwortlich. Vor Ort in Hungen habe man für die SPD-Kandidatin Melanie Haubrich ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis erzielt.

Nico Haas stammt aus Hungen. In der Kernstadt ist er aufgewachsen, in Langd, bei den Großeltern und anderen Verwandten, hat er viel Zeit verbracht. Das Verhältnis ist eng. »Die Familie kommt bei mir an erster Stelle«, sagt er entschieden. Die Politik nimmt den gelernten Kaufmann für Büromanagement, der in Friedberg arbeitet und im kommenden Jahr ein Abendstudium als Betriebswirt aufnehmen möchte, aber auch ziemlich in Anspruch.

Die Frage, ob er aus einer sozialdemokratischen Familie komme, beantwortet Haas mit einem kategorischen Nein. »Soweit ich weiß, bin ich der einzige aus der engeren Verwandtschaft, der in einer Partei ist.« Aber zu Hause sei immer viel über Politik gesprochen worden. Seiner Entscheidung, in die Partei einzutreten, sei ein langer, schleichender Prozess vorangegangen. »Man wacht nicht einfach morgens auf und tritt in die SPD ein.«

Haas erzählt, dass ihn sein Interesse für Geschichte zur Politik geführt habe. Was ist eine Diktatur? Was ist Demokratie? Schon als Schüler habe er sich mit solchen Fragen beschäftigt. Eine Doku über Helmut Schmidt, die er als Zwölfjähriger »mit Begeisterung« gesehen hat, brachte ihn auf die Spur weiterer prägender Sozialdemokraten der Bonner Republik, allen voran Willy Brandt. Warum SPD? Diese Frage beantwortet Nico Haas mit drei Worten: »Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität.« Er will nicht alle Menschen gleich machen. Aber er will, dass alle die Chance haben, etwas aus ihrem Leben zu machen. Und er findet, dass starke Schultern mehr tragen sollten als schwache.

Haas ist erst bei den Jusos gewesen und dann, 2019, in die SPD eingetreten. Eine Hungener Sozialdemokratin habe seine Oma angesprochen: »Der Bub ist doch Juso. Will der nicht mal zu uns in die Mitgliederversammlung kommen?« Nico Haas ging hin. »Sich aufraffen und hingehen, das ist die entscheidende Hürde«, sagt er rückblickend. Einmal da, fühlte er sich im Kreis der heimischen Sozialdemokraten gleich wohl. »Die haben sich alle gefreut, dass so jemand Junges dabei ist.« Und sich ganz offensichtlich intensiv um den Nachwuchs gekümmert. »Man wird wahnsinnig gut angelernt, aber auch ins kalte Wasser geschmissen«, erinnert sich der Hungener. »Du machst den Juso-Beauftragten«, habe der damalige Vorsitzende Christoph Fellner von Feldegg schnell entschieden. In den folgenden Wahlkämpfen war Haas gleich voll involviert. Flyer verteilen, Plakate kleben, Kandidatur auf der SPD-Liste zur Kommunalwahl. Platz 12 hat damals für den Einzug in die Stadtverordnetenversammlung nicht gereicht. Stattdessen hat der junge Sozialdemokrat, der vor wenigen Tagen 21. Geburtstag feierte, jetzt das höchste Parteiamt in Hungen inne.

Der Generationswechsel sei schon unter seinen Vorgängerinnen Sabine Fellner von Feldegg und Anja Schwab eingeleitet worden, sagt Haas. An deren offene und warmherzige Art des Umgangs wolle er anknüpfen. »Wir vor Ort haben die Aufgabe, den Menschen die Politik nahezubringen«, beschreibt er seine Aufgabe. Da bestehe großer Nachholbedarf. »Corona hat viel kaputt gemacht. Die Menschen sind auf Distanz gegangen«, beschreibt er die Situation. Mit verschiedenen Veranstaltungen will der neue Vorsitzende die Leute wieder zu erreichen. So plant er an der Gesamtschule Hungen, die er einst mit dem qualifizierten Realschulabschluss verlassen hat, gemeinsam mit anderen Parteien eine Diskussionrunde über junge Leute in der Politik.

Dass Politik auch Konfrontation bedeuten kann, hat Haas schnell erfahren. »Ich war keine fünf Tage im Amt, da habe ich einen Drohbrief bekommen«, erzählt er und setzt dabei »Drohbrief« hörbar in Anführungsstriche. Er brauche sich nicht zu wundern, wenn sein Auto zerkratzt würde, schrieb der namentlich nicht genannte Absender, der mit der Haltung der SPD zum Gewerbegebiet Hungen-Süd nicht einverstanden war. Haas will die Sache nicht so hoch hängen. »Ich habe darauf nicht viel gegeben.« Wenn er an die Kommunalpolitik in Hungen denkt, gibt es ein Thema, das ihm mehr Sorgen bereitet: die hohe städtische Verschuldung. Und der Wahlerfolg der AfD? Bereitet der ihm auch Kopfzerbrechen? Haas reagiert gelassen. »Ich wünsche sie mir nicht im Parlament. Wenn sie in verantwortliche Positionen käme, würde sie sich schnell selbst entzaubern.«

Nico Haas hat im Landtagswahlkampf an vielen Haustüren geklingelt und zahlreiche Gespräche geführt. Er meint zu wissen, was die Leute wollen: »Eine Wohnung, einen sicheren Arbeitsplatz. Und dass man sich mal was gönnen kann.« Um diese Anliegen müsse sich die Politik kümmern. Dabei hat sich der junge Hungener SPD-Vorsitzende einen Satz von Willy Brandt zu Herzen genommen: »Sobald die Politik aufhört, das Leben der Menschen einfacher zu gestalten, soll sie sich zum Teufel scheren.«